Es klingt verlockend: „Kauf dir dieses oder jenes Programm und deine Website ist barrierefrei.“ Dass ich, wenn diese Tools wirklich das halten würden, was sie versprechen, als Accessibility-Beraterin überflüssig bin, wäre ok für mich. Veränderungen gehören dazu.
Was mich aber stört: Kund:innen die von Barrierefreiheit wenig Ahnung haben und glauben, dass sie damit etwas Gutes tun, fühlen sich auf der sicheren Seite während genau die Nutzer:innen, für die die Barrierefreiheit-Features gedacht sind, am Ende wieder nichts davon haben.
Und daher dieser Beitrag, denn ich weiß, dass es auch besser geht.
Damit bin ich nicht alleine, einige Exper:innen aus dem Bereich Barrierefreiheit kritisieren die Werbeversprechungen. Außerdem gibt es bereits eine Masterarbeit, die sich mit der Auswirkung von Accessibility Overlays auf die Benutzungsfreundlichkeit und Nutzungserfahrung von Menschen mit dauerhaften visuellen Beeinträchtigungen beschäftigt.
Gehen wir das Thema Schritt für Schritt an.
Digitale Barrierefreiheit lässt sich nicht vollständig über Tools schaffen oder prüfen
Es wäre schön, wenn digitale Barrierefreiheit auf Knopfdruck erreicht werden kann. Doch das geht noch nicht, und niemand kann heutzutage seriös sagen, ob das überhaupt mal klappen wird.
Wenn du zum Beispiel mit KI einen Alternativtext generieren lässt, dann kann die KI zwar das Bild gut beschreiben, aber sie weiß ohne dein Zutun nicht, was du mit diesem Bild beabsichtigst.
Ich zeige dir hier ein Foto, das ich derzeit auf meiner Startseite verwende.

Wenn nun eine KI so ein Bild bekommt und einen Alternativtext generieren soll, was soll sie dann schreiben? Worauf soll sie sich fokussieren?
Hier sind ein paar Möglichkeiten für den Alternativtext:
- Eine Frau mit dunklen langen Haaren, die in ihren Händen vor ihrem Kopf Konfettis hält die sie in die Luft bläst.
- Partystimmung
- Rosa Farbspektrum
- Nageldesign von so und so, perfekt abgestimmt auf deinen Typ
- Konfettis von so und so, leuchtend und schimmernd
- Frisur von so und so, hält jede Partynacht durch
- Fröhliches neues Jahr
- Wieder Spaß nach langer Zeit
- farbenfrohe Farbkombination aus rosa-lila-Tönen mit Brauntönen
- Geschenk gleich abholen
- Dankesnachricht verfassen
Alle diese Texte, und natürlich noch viel mehr, könnten richtig sein. Doch ob überhaupt ein Alternativtext hier sinnvoll ist, und wie der lauten sollte, weiß nur der/die Erstellerin der Website. Ein Overlay oder die KI kann zwar eine technische „Einschätzung“ abgeben, aber (noch) nicht wissen, ob diese Einschätzung richtig ist.
Tun so als ob, auch wenn es gar nicht notwendig wäre
Manche Overlays blenden einen „Accessibility-Badge“ ein. Das ist eine Art Tool, mit dem man auf Knopfdruck Texte vergrößern, Farben verändern, Schriftarten austauschen kann usw. Das suggeriert Menschen, die keine Ahnung von Barrierefrieheit haben, dass diese Seite nun toll und barrierefrei ist.
Allerdings ist es so, dass man das gar nicht braucht. Barrierefreiheit muss nicht mit einem Label oder so gekennzeichnet werden. Textskalierung und Farbanpassung ist nicht etwas, das man durch ein separates Tool hinbekommt, sondern die Website von sich aus können soll.
Menschen mit Behinderungen haben ihre eigenen Technologien, mit denen sie den Code der Website auslesen können und den Inhalt für sie passend ausgeben können.
Barrierefreiheit ist kein Extra-Feature
Immer wenn ich bei Menschen, die von Webdesign wenig Ahnung habe, auf das Thema Barrierefreiheit zu sprechen komme, kommt schnell die Frage, ob man dazu etwas Extra braucht.
Jedes Mal wenn ich erkläre, nein, braucht man nicht, und dass man die Website im Hintergrund so aufbauen kann, dass eben alle diese Dinge wie Tastaturbedienung, saklierbarkeit,… möglich sind, ohne etwas Extra zu machen, schaue ich oft in große Augen.
Menschen die assistive Technologien nutzen, können mit diesen Technologien umgehen. Sie haben gelernt damit umzugehen oder müssen es erst lernen, aber die Technologien sind bereits da. Der Code muss nur so aufbereitet werden, dass die Technologien diesen auch nutzen können.
Programme die separat hinzugefügt werden, kollidieren mit bereits eingebauten Funktionen
Gerade bei WordPress ist es ein bekanntes Thema, dass ein Plugin mit einem anderen in die Quere kommen kann und daher nicht so funktioniert wie es soll. Wenn du verstehst, was hier passiert, kannst du entscheiden, ob du das Plugin behältst oder ob du einen anderen Weg findest.
Problematisch wird es dann, wenn du selbst keine Ahnung von Code hast, und dich darauf verlässt, dass dieses Plugin genau macht was es soll und du nicht nachvollziehen kannst, ob das auch wirklich so geschieht.
Wenn zum Beispiel das Theme diverse Funktionen eingebaut hat und du nun mit einem Plugin diese Funktionen überschreibst oder anderweitig beeinflusst, kann es sein, dass manches mehrfach vorgelesen wird, unnötig verkompliziert wird oder einfach gar nicht mehr funktioniert, was ursprünglich geklappt hat.
Programme die Zusatzcode hinzufügen kommen den assistiven Technologien in die Quere
Auch das gibt es. Assistive Technologien agieren mit Websiten anders als man es mit Touchgesten oder mit Bildschirm und Maus gewohnt ist.
Es gibt Abkürzungen mit Tastaturen, Sprachbefehle oder Bewegungsgesten am Smartphone, wie zum Beispiel Schütteln.
Diese Abkürzungen funktionieren mit ganz bestimmten Einstellungen. Ich habe schon von einigen Nutzern gelesen, dass sie die Overlay-Tools irgendwo mühsam deaktivieren mussten, um ihre ganz normalen Funktionen auf einer Website wie Login wieder nutzen zu können.
Menschen die nichts oder schlecht sehen, haben in den Sozialen Medien darüber geschrieben, dass Websites mit Overlays wesentlich schlechter nutzbar sind als vorher.
Auf der Seite Overlayfactsheet findest du übrigens eine Sammlung solcher Meldungen.
Bittsteller
Die Idee ist nett, dass man das Design so lässt wie man es gekannt hat und dem Nutzer die Möglichkeit bietet, alles anzupassen.
Was mich daran stört ist, dass Barrierefreiheit wieder als Extra-Feature dargestellt wird, als etwas, dass man hier besonders sozial agiert, obwohl man es eigentlich nicht tut.
Die Behinderung an sich ist für viele Menschen kein Problem, solange sie nicht daran behindert werden, ihr Leben eigenständig zu leben. Leider ist es immer wieder noch so, dass viele Menschen als Bittsteller auftreten und für ihre Rechte eintreten müssen, nur um wie alle anderen am sozialen Leben teilnehmen zu können.
Was statt dessen tun?
Sich mit Barrierefreiheit beschäftigen. Es gibt ein paar Dinge die man auf der Website verbessern kann und die viel bewirken, ohne dass man gleich die ganze Site auf den Kopf stellen muss. Zum Beispiel:
- durchgängige Tastaturbedienugn sicherstellen
- sicherstellen, dass der Fokus immer gut sichtbar ist
- sinnvolle Alt-Texte
- Schriftarten skalierbar und zoombar (kein px, dafür alles andere)
- Layout skalierbar (das kennen wir schon vom Responsive Design) ohne dass es was zerschießt
- Links gut beschriften
- Farbkontraste lesbar, auch wenn das heißt, dass man das eigene Branding ein wenig anpasst
Du findest hier im Blog noch mehrere Artikel dazu. Wenn du Unterstützung möchtest, bin ich gerne für dich da. Schreib mir einfach eine E-Mail.